Warum Firmen oft gegen ihre eigenen Interessen entscheiden

Der Blog Strategy Insights von Markus Hensel behandelt aktuelle Themen der Unternehmensführung, inspiriert von der Praxis und stets mit einem persönlichen Blick auf die Herausforderungen und Chancen der Geschäftswelt.
April 28, 2025

Das Spiel beginnt

Im Kontext weitreichender Geschäftsentscheidungen bildet sich in Unternehmen ein Entscheidungsgremium, das ein Projektteam zur Vorbereitung der Entscheidung beauftragt. Das Projektteam erhält strategische Geschäftsziele, einen Zeitrahmen für das Gesamtprojekt sowie Richtwerte für das Budget und die Wirtschaftlichkeit der Investition. Anschließend werden Anforderungen ausgearbeitet und in einer umfangreichen Excel-Liste gewichtet. Die Anbieter werden eingeladen und der olympische Gedanke ausgerufen: Der Beste möge gewinnen! Das Spiel beginnt.

Das Ranking-Problem: Wenn Platz 2 und 3 das Spiel verändern

Im Rahmen eines revisionssicheren Benchmarks müssen sich alle Anbieter mit ihrer individuellen Leistung entlang der Excel-Tapete beweisen. Schließlich trägt das Projektteam alle Ergebnisse zusammen und verweist die Anbieter je nach Erfüllungsgrad und Gewichtung auf ihre Plätze. Die Anbieter auf Platz 4 und 5 werden verabschiedet, während die Plätze 1 bis 3 an der nächsten Runde zur Verhandlung der vertraglichen und rechtlichen Konditionen sowie des Preises teilnehmen dürfen. Bis dahin ist alles gut.

Das Problem: Es gibt einen Platz 1 und zwei nicht Platz 1. Die Anbieter auf Platz 2 und 3 finden diese Position nicht erstrebenswert und wissen, dass zu 95% die rechtlichen und vertraglichen Bestandteile nicht ausschlaggebend für die Auftragsvergabe sind. Anbieter auf Platz 1 muss jetzt nur alles richtig machen und wird den Auftrag erhalten. Daher werden Platz 2 und 3 intervenieren. Unerfahrene Vertriebsorganisationen stellen die Anforderungsliste sowie die Gewichtung und den Erfüllungsgrad infrage. Das sollte man nicht tun, da man sich zu einer frühen Phase mit dem gesamten Projektteam verdirbt, auch wenn man recht hat.

Wie sich Entscheidungen langsam von den Zielen entfernen

Klügere Teams werden versuchen, die Entscheidungsgrundlage zu ihren Gunsten zu beeinflussen und dem Entscheidungsgremium vermitteln, dass bestimmte, enorm wichtige, gar existenzielle Aspekte nicht berücksichtigt wurden. Das ist dann natürlich kein Versäumnis des Projektteams oder des Entscheidungsgremiums selbst. Vielmehr haben sich neue Erkenntnisse ergeben, die bei der Definition der originären Anforderungen noch nicht vorlagen und keinesfalls ignoriert werden können.

Das ist im Kern das Spiel der Anbieter auf Platz 2 und 3. Im Wesen handelt es sich um indirekte Offensivstrategien, die gut vorbereitet und ebenso vorgetragen eine gute Chance auf Berücksichtigung haben. Wir sind nun in Iterationsstufe 1 zur Entfremdung von den originären Geschäftsanforderungen. Das Spiel geht weiter. Sollte sich das Ranking der Anbieter durch die neuen Anforderungen verschieben, werden nun die neuen Plätze 2 und 3 mit ähnlichen Ansätzen reagieren.

Das Spiel läuft so lange weiter, bis es dem Kunden reicht und er weitere Anforderungen nicht mehr zulässt. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns zumeist in Iteration 2 bis 4 und haben uns bereits signifikant von den originären Anforderungen und ihrer Gewichtung entfernt. Aber es kommt noch schlimmer.

Eskalation im Unternehmen: Polarisierung statt Einigung

Die Summe aller Anforderungen, die firmeneigenen und die der Wettbewerber, führen zu einer unübersichtlichen und kaum zu entscheidenden Situation. Oft polarisieren sich obendrauf die Lager im Unternehmen und eine interne Einigung scheint in weiter Ferne. Streit und Verdruss sind nicht selten anzutreffen. Das Entscheidungsgremium bleibt von dieser Entwicklung nicht unberührt und versteht zunehmend, dass auf dieser Grundlage eine Entscheidung politisch riskant ist, da sie von zu wenigen Mitarbeitern positiv unterstützt würde. Für das strategische Vorhaben, das Transformationsprojekt, bedarf es jedoch Teamgeist und breiter Unterstützung. Was für ein Dilemma für die Unternehmensführung! Es kommt zum Finale!

Ein Dilemma bahnt sich an

Auf Basis der aktuellen, um neue Kriterien erweiterten Anforderungsliste ist keine sinnstiftende Entscheidung möglich. Dennoch gewähren die realen Geschäftsherausforderungen keinen Aufschub des Transformationsprojektes. In diesem Moment ist die Unternehmensführung besonders offen für einen eleganten und tragfähigen Ausweg, wenn sie ihn nicht sogar selbst einleitet, um das strategisch Wichtige zu fördern: die Unternehmensentwicklung und nicht die Auswahl eines Anbieters. Was passiert nun?

Wenn der Preis der Entscheidungsfähigkeit die eigenen Interessen kostet

Durch oder mit Unterstützung der Unternehmensführung werden neue Anforderungen definiert, die mit allen anderen nichts zu tun haben. Aus wettbewerbsstrategischer Sicht wird eine indirekte Strategie implementiert, die das Ziel hat, eine Entscheidung zu treffen, die breite Unterstützung genießt. Das gelingt auch zumeist. Die Kehrseite ist, dass diese Entscheidungsfindung in der Regel nichts mehr mit den originären Geschäftsanforderungen gemein hat. Vielmehr wird das Unternehmen überhaupt wieder entscheidungsfähig und bezahlt dabei den Preis, seine eigenen Interessen zu vernachlässigen. Dies ist oft der Anfang eines erfolglosen Transformationsprojektes. Die Ursachen sind in der Dynamik der Evaluierung zu finden. Die Interessenskonflikte aller Beteiligten diskreditieren eine sinnvolle, auf Vernunft basierende Entscheidungsfindung. Ich habe es oft erlebt.

Insights
2 helmets Blog

Wettbewerb gewinnen durch Strategie und Analyse mit Markus Hensel – Erfolgsfaktoren für Unternehmen.

Markus Hensel

Auf meiner beruflichen Reise durch unterschiedliche Unternehmen und Verantwortungsbereiche durfte ich in den vergangenen 30 Jahren vielfältige und prägende Erfahrungen sammeln – mal erfreulich, mal herausfordernd. Diese Erlebnisse haben meine Perspektive auf Management, Strategie und Vertrieb nachhaltig geprägt – Eindrücke, die ich gerne mit Ihnen teile.

Im Blog Strategy Insights finden Sie pointierte Beiträge zu aktuellen Themen der Unternehmensführung, inspiriert von der Praxis und stets mit einem persönlichen Blick auf die Herausforderungen und Chancen der Geschäftswelt.

Ich freue mich sehr über Ihre Rückmeldungen, Anregungen oder weiterführenden Gedanken – gerne per E-Mail.

Neueste Beiträge

No Champion, no Deal

Der Champion, ein Mensch Der Leitsatz "No Champion, no Deal" gehört zu den Grundprinzipien des...

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert